Die Zahlenfrau
Quelle: dpa-Zentralbild

Corona-Unterricht: Jetzt rächt sich der digitale Rückstand

In der Coronakrise schlägt der digitale Rückstand im deutschen Bildungswesen voll zu. Fast alle Schulen sind geschlossen; Eltern, Lehrer und Schüler müssen zusehen, wie sie den Unterricht auf Abstand geregelt bekommen. Die Krise sollte ein Weckruf sein, die Digitalisierung an deutschen Schulen schnellstens voranzutreiben.

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Neben meinem Job als Geschäftsführerin von Ratepay engagiere ich mich bei der Hacker School und den Startup Teens. Das sind zwei Privatinitiativen, die Kindern und Jugendlichen Programmier-Skills und Gründergeist vermitteln möchten. Zusammen mit einer anderen Hacker School-Mentorin, Susanne Leiding von der DKB, habe ich letzte Woche virtuell zusammengesessen, und mal wieder haben wir uns gefragt: Woran liegt es, dass es oft Privatinitiativen und nicht die Schulen sind, die digitale Kompetenzen vermitteln? Dass Deutschlands Schüler und Lehrer bei digitaler Bildung so schlecht abschneiden? Und dass die 5,5 Milliarden Euro des „DigitalPakt Schule“ nicht in den Schulen ankommen wollen?

In Studien wird Deutschlands Schülern eine IT-Kompetenz unterhalb des internationalen Mittelwertes bescheinigt. Das können wir uns als (noch) viertgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht leisten.

Um die aktuellen Probleme besser zu verstehen, haben wir uns am Wochenende mit einer Expertin unterhalten: Nina Toller ist Gymnasiallehrerin in Duisburg und betreibt seit 2016 den Blog tollerunterricht.com, mit dem sie sich für mehr digitale Kompetenz an Deutschlands Schulen einsetzt.

WirtschaftsWoche: Nina, vor welchen Herausforderungen stehen die deutschen Schulen jetzt in der Krise?
Nina Toller: Ich sehe verschiedene Hürden. Allen voran die digitale Infrastruktur: Oft scheitert es schon an der einfachen Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern, viele Lehrer haben keine dienstliche E-Mail-Adresse. Hinzu kommen Serverprobleme bei den Lernplattformen, die manche Schulen normalerweise nutzen. Sie sind nicht darauf ausgelegt, dass 1000 Schüler gleichzeitig zugreifen. Verlässlicher laufen die Systeme der großen Tech-Unternehmen, die aber oft nicht DSGVO-konform sind.

Auch die Lehrer stehen vor großen Schwierigkeiten: Manche Lehrer haben bisher auf den Einsatz digitaler Unterrichtsmittel oder Medien verzichtet. Das lag aber oft nicht daran, dass sie es nicht wollten, sondern weil sie es nicht konnten. Jetzt müssen sie sich über Nacht weiterbilden und lernen, wie sie digitalen Unterricht oder wenigstens digitale Betreuung gewährleisten können, inklusive der Bereitstellung der Unterrichtsmaterialien. Der Hashtag #twitterlehrerzimmer, der sich bereits seit einiger Zeit als eine Art Mikro-Fortbildung etabliert hat, bekommt gerade viele neue „Kollegen“.

Eine weitere Hürde ist die technische Situation bei den Schülern zu Hause. Da steht vielleicht nur ein Laptop, und den brauchen die Eltern zum Arbeiten. Außerdem hat nicht jeder Schüler ein neues Smartphone, auf dem alle Anwendungen laufen.

Wie sieht zeitgemäße digitale Bildung aus?
Ein zeitgemäßer Unterricht ist eine Mischung aus analogen und digitalen Medien: Schüler nutzen ihre analogen Schulbücher, aber auch das Potenzial digitaler Medien, z.B. durch Erklärvideos, die sie nicht nur konsumieren, sondern auch produzieren. So werden sie von Digital-Konsumenten zu Digital-Verstehern. Digitale Bildung kann also nicht heißen, das Schulbuch einfach nur als PDF verfügbar zu machen.

Als Lehrerin wäge ich ab: Wie nutze ich die Unterrichtszeit, die mir zur Verfügung steht, am besten? Wie integriere ich fachliche Lerninhalte und vermittele gleichzeitig Medienkompetenz? Ich versuche, die Technik, die die Schüler und ich privat nutzen, in den Unterricht einzubringen. Und frage mich: Wie kann ich den Unterricht damit einfacher machen und optimieren? Ich bespreche mit meinen Klassen, was ich von zeitgemäßen Präsentationen erwarte oder nutze teilweise Google Docs, wo die Schüler anonymisiert gemeinsam am Schulstoff arbeiten, Kommentare hinterlassen können.

Wer ist dafür verantwortlich, wie digital-fit eine Schule ist? Da scheint es ja ein großes Gefälle zu geben.
Da Bildung Ländersache ist, hängt ganz viel davon ab, was im einzelnen Bundesland möglich und erlaubt ist. Im nächsten Schritt liegt es an der Kommune, am Schulträger, der über das Budget für die Schulen entscheidet. Dann kommen die Lehrer ins Spiel: Was möchten und können sie umsetzen? Die Digitalisierung ist ja nur eines der Themen, die Lehrer „nebenher“ bewältigen müssen. Viele Lehrer sind schon mit den Inklusions- und Integrationsaufgaben vollauf beschäftigt, daneben wartet jede Menge Verwaltungsaufwand.

In unserer Schule haben wir einen gut funktionierenden Eltern- und Förderverein, der zum Beispiel neue Beamer oder die Anschaffung und Wartung eines Smartboards finanziert hat. Um mal ein Beispiel für die bürokratischen Mühlen zu nennen: Wenn in Klassenzimmern ein Loch in die Decke gebohrt werden muss, um einen Beamer aufzuhängen, muss die Stadt das als Handwerkerauftrag vergeben. Da kann man sich ausmalen, wie lange das alles manchmal dauert.

Manche Schulen, oft in privater oder kirchlicher Trägerschaft, sind super ausgestattet, die haben Breitband-WLAN, getrennte Lehrer- und Schüler-WLANs und alle notwendigen Geräte angeschafft. Andere Schulen bieten Finanzierungshilfen: Ich kenne eine Schule, die Tablets für die Schüler kauft, und die Schüler können diese dann in monatlichen Raten abbezahlen. Eher ungewöhnlich, aber so wird sichergestellt, dass alle Schüler mit demselben Gerät arbeiten.

Wo bleibt das Geld aus dem „DigitalPakt Schule“?
Das Geld kommt in vielen Schulen bisher nicht an. Oft werden dafür die Bundesländer verantwortlich gemacht. Manchmal hängt es aber auch an den Schulträgern, den Kommunen. Einige Schulträger möchten das Geld aus dem Digitalpakt komplett in den WLAN-Ausbau stecken, da kann die Schule dann keinen Antrag für weitere Anschaffungen stellen. Damit Geld fließt, muss nun jede Schule ihr eigenes pädagogisches Medienkonzept erstellen und einreichen. So wird vermieden, dass es eine Standardlösung gibt, mit der dann wieder nicht alle zufrieden sind. Der Nachteil: Jede Schule muss ihr eigenes Süppchen kochen und irgendwie Zeit schaffen, sodass die Lehrer dieses Konzept schreiben können.

Was könnten Wirtschaftsunternehmen konkret tun, um die Schulen zu unterstützen und digitale Bildung voranzutreiben?
Grundsätzlich müssen Schulen neutral bleiben und können keine Werbepartner von Unternehmen werden. Dennoch können besonnene Kooperationen durchaus Sinn machen. Zum Beispiel: Chromebooks werden gespendet. Oder die Schule schafft selbst iPads an, aber der Support wird von Apple gewährleistet. Das Wichtigste ist, dass die Schulen inhaltlich unabhängig bleiben.

Wie wir gerade sehen, laufen die Software- und Cloud-Lösungen der großen Tech-Anbieter am stabilsten, also sollte man jetzt vielleicht nachdenken, wie da mehr Hand in Hand gearbeitet werden kann. Die großen Anbieter könnten auch ein spezielles Angebot mit anderen Datenschutzanforderungen schaffen, wie es Google mit der G Suite und Google for Education teilweise schon umsetzt.

Unternehmen können aber auch Workshops zu Medienkompetenz-Themen anbieten: Wie schütze ich meine Privatsphäre, was kann ich posten und was besser nicht? In NRW haben wir beim Projekt „Coding for Tomorrow“ von der Vodafone-Stiftung gesehen, dass es vieles erleichtert, wenn die Stadt mit im Boot ist und zum Beispiel die Lehrerfortbildungen in den Räumen des städtischen Medienzentrums anbietet.

Welche Chancen eröffnet Corona für die Zukunft?
Ich denke, gerade fallen viele Hemmschwellen weg; alle sind gezwungen, sich mit digitalen Lernmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Viele Lehrer sehen: Das ist kein Teufelszeug, das kann ich auch. Jetzt ist die Chance, sich damit zu beschäftigen.

Klar, der normale Unterricht kann nicht langfristig durch digitalen Fernunterricht ersetzt werden. Gerade jetzt sehe ich, wie wichtig meinen Schülern der „echte“ Austausch ist. Positiv ist aber, dass auch die Schüler merken: Ich kann mich auch ganz gut selbst organisieren, wir können uns digital unabhängig vom Lehrer zu einem Thema austauschen, das ist cool!

Lehrer sollten nicht auf den großen Paukenschlag warten, sondern nutzen, was möglich ist. Wenn Eltern ihre schriftliche Zustimmung geben und alle Profile und Daten anonymisiert werden, kann man mit Anbietern wie Microsoft oder Google schon einiges in die Tat umsetzen. Notfalls müssen Lehrer auch mal auf eigene Mittel zurückgreifen, auch ich habe schon mein eigenes Datenvolumen über einen Hotspot zur Verfügung gestellt oder Privatgeräte im Unterricht genutzt. Am wichtigsten ist es, dass Schulstoff und Medienkompetenz gleichzeitig vermittelt werden.

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